puer natus

mittelalterliche Weihnachtsmusik des 11. bis 15.Jahrhunderts

Unsere zweite Platte – puer natus – mit weihnachtlichen Stücken des 11. bis 16. Jahrhunderts. Kann man aber auch zu jeder anderen Zeit anhören. Ihr könnt die CD direkt bei uns bestellen.

Puer natus in Bethlehem

Heilig Abend 1290. König Rudolph I. von Habsburg sitzt am flackernden Kaminfeuer im Kreis seiner Familie und nächsten Anverwandten. Der Duft von Tannen­nadeln und Weihrauch liegt in der Luft, alle Gäste ruhen gesättigt nach dem reichhaltigen Festtagsmahl. Der gerade am Hofe weilende Minnesänger Heinrich Frauenlob, schon zu seiner Zeit berühmt und allseits geachtet, stimmt eines seiner Weihnachstlieder an: Jessajas, der schrîbet so …

Wie schön dieses erbauliche Szenario vielleicht vor­zustellen sein mag – so wird es mit Sicherheit nicht stattgefunden haben. Im 13. Jahrhundert war zwar der Termin des Weihnachtsfestes durch die Kirche schon auf den 25. Dezember festgelegt (Christi Geburt), aber dieser Tag hatte bei weitem nicht diese Bedeutung, welche wir ihm heute beimessen. Der gesamte Weih­nachtsfestkreis erstreckte sich vom Advent bis in den Februar hinein – also über einen Zeitraum von knapp zwei Monaten! Jeder dieser Tage war Festtag eines der unzähligen Heiligen, viele davon von weitaus größerer Bedeutung. Der 26.Dezember ist zum Beispiel der Festtag des Heiligen Stephanus, des ersten Märtyrers (Protomartyr), der sein Martyrium zwischen 36 und 40 n. Chr. erlitt. Der 27. Dezember ist der Tag Johannes’ des Evangelisten, Tag der unschuldigen Kindlein ist am 28. Dezember. Das Fest der Erscheinung des Herrn wurde (und wird) am 6. Januar gefeiert. Im Evangelium tauchen dann die Weisen aus dem Morgenland auf, die bald zu den heiligen 3 Königen werden, insbesondere seit der Kanzler des Reiches, Rainald von Dassel, 1164 die (gestohlenen!) Reliquien, die Gebeine der heiligen 3 Könige, aus Mailand nach Köln brachte … im übrigen ist der 6. Januar der ursprüngliche Weihnachtstermin. Den Weihnachstkreis beschließt am 2. Februar das Fest Mariæ Lichtmess.

Der Advent war Fastenzeit zur Festvorbereitung. Diese Fastengebote hat man natürlich besonders dankbar durch Heiligentage unterbrochen: ein Brauch, der mit dem Fest des Heiligen Nikolaus bis in unsere Tage nachvollziehbar ist. Die Besinnung auf den theologisch zentralen Christtag ist ein Werk Martin Luthers, der auch den Brauch des Beschenkens auf den »Heiligen Abend« verlegte, um sich von der Heiligenverehrung ab­ und der Christusverehrung zuzuwenden.

Natürlich war der »eigentliche« Weihnachsttag, der 25. Dezember, nicht völlig bedeutungslos – kein anderer Tag im Kirchenjahr wird mit drei Messen begangen, aber die Vorstellung von Weihnachten als »das Fest« schlechthin ist eine moderne.

Modern ist also auch unser Blick zurück, wenn wir Weihnachtslieder des »Mittelalters« rekonstruieren, singen und spielen, denn viele der Lieder, welche uns heutzutage inhaltlich sehr weihnachtlich anmuten, sind einfach Ausdruck der christlichen Heilsgeschichte. Untrennbar verbunden sind Maria und Jesus – ein Lied zum Lobpreise Marias, wie zum Beispiel Des oge mais, wird unweigerlich die Geburt von Jesus Christus er­ wähnen – ist es deswegen ein Weihnachstlied? Andere Lieder erzählen, wie der Engel Gabriel zu Maria von der anstehenden Geburt ihres Sohnes Jesus sprach, was logischerweise neun Monate vor der Geburt gesche­hen sein muss, also im März. Ein Weihnachtslied? Die Weissagung der Ankunft des Erlösers findet sich in der Bibel, im Prophetenbuch Jesaia 11,1. »Aus der Wurzel Jesse wird ein Zweig hervorgehen und eine Blüte aus seiner Wurzel emporsteigen…«. Fulbert de Chartres dichtete im 10. Jahrhundert diesen Vers leicht um und vertonte ihn: Stirps Jesse. Es gibt viele Hinweise darauf, dass all diese Ereignisse bereits oder gerade im Mittel­alter als zusammengehörig empfunden wurden. Das komplexe Geflecht sinnreicher Anspielungen, die das liturgische Jahr ausmachen, einer kostbaren Glasfens­terrosette gleich, wurde sehr geistreich ersonnen und ausgestaltet. Das Stirps Jesse beispielsweise wurde im Laufe der Jahrhunderte immer wieder neu gedichtet und mit neuen Melodien versehen, so zum Beispiel im 13. Jahrhundert von Heinrich Frauenlob: Jessaias, der schribet so. Besonders gern wurde mit Worten und Be­ deutungen gespielt, sehr naheliegend ist zum Beispiel der Zusammenhang zwischen Virga (Zweig) und Virgo (Jungfrau). Auch das heutzutage wohl bekannteste, aus dem 16. Jahrhundert stammenden Weihnachtslied »Es ist ein Ros entsprungen« steht in dieser Tradition. Andere Lieder fassen einige oder alle dieser Ereignisse sogar gleich in einem Text zusammen: Ecce mundi gau­dium, Edi beo thu heavene quene oder Congaudeat turba fidelium. Mit ziemlicher Sicherheit können wir aber von dem Stück Puer natus in Bethlehem behaup­ten, dass es nicht nur ein »echtes« Weihnachtslied, sondern sogar ein regelrechter »Hit« gewesen sein muss. Unzählige Varianten dieses Liedes existieren, mit unterschiedlichen, und doch ähnlichen Melodien. Noch Johann Sebastian Bach hat einen Choral mit diesem Text komponiert und sogar einen Teil einer mittelalterlichen Melodie aus den Piæ Cantiones benutzt. (Daran wird deutlich, dass dieses Lied selbst die tiefgreifenden Umwälzungen der Reformation einigermaßen überstan­den hatte.) Uns dient Puer natus als Rahmen, als roter Faden, um all die Lieder zusammenzuhalten, welche zusammen die Weihnachtsgeschichte erzählen, so wie sie wir heutzutage verstehen: von der Prophezeiung an, bis hin zu den drei Weisen aus dem Morgenlande.

Wenn man im Jahr 2009 eine CD mit mittelalterlichen Weihnachtsliedern einspielt, dann ist das, abseits aller romantischen Vorstellungen, eine CD mit Interpreta­tionen, geprägt durch Vorstellungen und Erkenntnisse aus dem Jahre 2009. Bei sorgfältiger Recherche, Stu­dium der Originalquellen und jahrelanger Auseinander­setzung mit mittelalterlicher Musik fließen in die Auf­nahmen auch ganz bewusst moderne Hörgewohnheiten ein. So spielten wir zum Beispiel ursprünglich nur gesungene Stücke (Lætabundus exultet fidelis chorus oder Nowel, nowel) rein instrumental ein. Andere ar­rangierten wir in Form einer Estampie des 13. Jahrhun­derts (Estampie Die jungfrouwe) oder diminuierten sie im Stile einer instrumentalen Chansonbearbeitung des 15. Jahrhunderts (Puer natus). Einen Eindruck davon, wie die Stücke im Mittelalter vielleicht tatsächlich ge­klungen haben könnten, gewinnt man bei anderen Stü­cken: Die Estampie Gabriel ist zwar von uns arrangiert, wird aber mit Einhandflöte und Trommel aufgeführt – eine Einmannbesetzung, welche sich auf ungezählten mittelalterlichen Darstellungen findet. Wir wissen auch, dass die Lieder der Minnesänger oft mit Fidel be­gleitet wurden, und genau so spielen wir das eingangs erwähnte Stück Jessajas, der schribet so. Herausgekommen ist eine CD, die man zu Weihnachten genau so anhören mag wie eben auch zu jeder belie­bigen anderen Zeit des Jahres.

Katharina Hölzel Blockflöten, Pommer, Einhandflöte und Trommel
Kathrin Kläber Gesang, Glockenspiel
Viola Baither Gesang, Portativ
Robert Schuchardt Drehleier, Quinternen, Schlüsselfidel
Martin Uhlig Laute, Fidel, Trumscheit

als Gäste
Torsten Pfeffer Perkussion
Tobias Finke Gesang